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Polykultur für den Nahrungsertrag an schattigen Standorten

In diesem Beitrag möchte ich beispielhaft aufzeigen, welche Pflanzen für eine Polykultur für den Nahrungsertrag an schattigen Standorten geeignet sind. Meine Auswahl der Pflanzen erkläre ich anhand ihrer Eigenschaften und Funktionen und beschreibe, wie diese in einer Polykultur angeordnet sein können.

Zweck und Ziele

Gerade bei Flächen in städtischem Umfeld sind die Lichtverhältnisse oft nicht ideal, etwa in Hinterhöfen die von hohen Häusern umgeben sind, oder in Gärten die auf der Nordseite von mehrstöckigen Gebäuden liegen.

Der Ansatz ist hier eine Polykultur zum Obst- und Gemüseertrag, die…
a) …zumindest Halbschatten, besser noch Vollschatten toleriert, und
b) über einen möglichst langen Erntezeitraum Nahrung liefern soll.
c) …einen Aufenthalts- und Ruheort enthalten soll.

Der Gesamtdurchmesser der Fläche beträgt etwa 15 Meter.

Alle angegebenen Pflanzen tolerieren zumindest Halbschatten. Sie sind allesamt von Plants For A Future (PFAF) als 5 (exzellent) eingestuft was ihren Nahrungsertrag betrifft. Arten die auch im Vollschatten gedeihen liegen in ihrer Bewertung zur Essbarkeit zwischen 3 und 5.

Aufbau/Architektur

Dieser Entwurf für eine Polykultur ist nicht als konkretes Rezept, sondern eher als eine beispielhafte Sammlung von schattentauglichen Ertragspflanzen zu betrachten – ob (und vor allem wie!) diese Anordnung sehr vieler Elemente funktioniert ist zu beobachten, bei dieser Menge ist die Komplexität der Wechselbeziehungen schwer vorauszusehen. Pickt man sich aus diesen Möglichkeiten nur 1-3 Arten pro Ebene heraus so wird das Netzwerk überschaubarer.

Die Baum-Ebene

Im Beispielfall bilden vier mittelgroße Gehölze die oberste Baum-Ebene, die um einen schattigen Ruheplatz mit Bank angeordnet sind: Ein Szechuan-Pfeffer (Zanthoxylum simulans), eine Mispel (Mespilus germanicus; veredelte Ertragssorte wie z.B. ‘Nottingham’), eine Quitte (Cydonia oblonga) auf schwach wachsender Unterlage (Quitte C oder A) und eine Pflaumeneibe (Cephalotaxus spp.).

Denkbare Alternativen mit ähnlicher Kronenausdehnung wären beispielsweise:
Apfel (Malus domestica auf mittelstark wachsender Unterlage/Halbstamm), Maulbeere (Morus spp.), Speierling (Sorbus domestica), Pflaumen (Prunus domestica/insititia), Chinesischer Blüten-Hartriegel (Cornus kousa chinensis), Lotuspflaume (Diospyros lotus, zweihäusig) oder auch Amerikanische Persimone (Diospyros virginiana, zweihäusig), Winter-Linde (Tilia cordata) oder Rotbuche (Fagus sylvatica) als auf Kopf geschnittener Salatbaum, etc.

Strauch-Ebene

Die Auswahl an schattentoleranten Sträuchern ist groß. Das natürliche Habitat nahezu aller Pflanzen dieser Ebene ist der Waldrand und das Unterholz in lichten Wäldern, als solche liefern die meisten auch im Halbschatten einen Nahrungsertrag.

Die Ebbings-Ölweide (E. X ebbingei) ist eine immergrüne stickstofffixierende Heckenpflanze, auf der Nordseite würde sie vor allem im Winter Schutz bieten. Die laubabwerfenden Ölweiden hingegen benötigen zum Fruchtertrag und zur Stickstofffixierung einen sonnigen Standort, wären also als Alternative eher am südwestlichen Rand der Gruppe geeignet.
Zu den produktiven Sträuchern gehören Ertragssorten von Beeren und Nüssen: Sakatoonbeere (Amelanchier alnifolia), Brombeere (Rubus fruticosus) (und deren Hybriden wie bspw. die Tayberries, Loganberries, etc.), Aronia (Aronia spp.), Berberitzen (Berberis spp.), Kartoffel-Rose (Rosa rugosa), Mahonie (Mahonia aquifolia), Scheinbeere (Gaultheria shallon), diverse Stachel- und Johannisbeeren (Ribes spp.). sowie Hasel- (Corylus spp.) und Pimpernüsse (Staphylea spp.).
Als Nebenprodukte liefern Hasel Stecken und der Neuseeländer Flachs (Phormium tenax) Bindematerial.

Die Position eines größeren Strauches kann natürlich auch von kleineren Obstbäumen eingenommen werden: Möglichkeiten sind hier diverse asiatische Zierquitten (Chaenomeles spp.) oder auf Fruchtertrag gezüchtete Weißdorne (z.B. Crataegus schraderiana/ellwangeriana).
Wird eine Winter-Linde (Tilia cordata) in Abständen als Kopfbaum zurückgeschnitten so treibt sie kräftig frisches Grün aus und kann so als „Kopf-Salat-Baum“ dienen. Ebenso funktioniert das mit einer Rotbuche (Fagus sylvatica) oder Maulbeere (Morus spp.) – bei diesen nimmt man besser nur die zarten frischen Blätter, größere Blätter werden schnell zäh. Die Maulbeerblätter können wie Wein zum Einwickeln von Speisen verwendet werden.

Die Stauden-Ebene

Die Stauden-Ebene ist vor allem auf Systemfunktionen ausgerichtet, wo möglich kommt ein Nahrungsertrag, vor allem in Form essbarer Wildpflanzen, hinzu: Im Schatten der Sträucher können Giersch (Aegopodium podagraria), Bärlauch (Allium ursinum), Waldmeister (Galium odoratum) und Pestwurz (Petasites japonica – Vorsicht, wird sie nicht geerntet kann sie schnell invasives Potential entfalten!) wachsen. Wildkräuter wie die Brennnessel (Urtica dioica), Malven (Malva spp.) und Ampfer (Rumex spp., v.a. R. acetosa) sind typische Mineraliensammler und als solche auch sehr nahrhaftes Wildgemüse.

An den sonnigeren Rändern sind auch Stauden wie die Taglilie (Hemerocallis spp.) möglich, deren Blütenknospen in den Salat kommen. Der Molchschwanz, auch als ‘Hot Tuna’ bekannt (Houttuynia cordata), ein asiatisches Suppengemüse mit exotischem Geschmack, fühlt sich an einem feuchten Standort im Schatten wohl.

Bodendecker

Die Bodendeckung wird mit kriechenden Halbsträuchern und mit krautigen Pflanzen besetzt die sich durch Absenker in Matten ausbreiten. Die Himalaya-Himbeere (Rubus nepalensis, auch R. tricolor) füllt selbst im Vollschatten schnell Flächen aus und teilt sich den Raum mit der Niederen Scheinbeere (Gaultheria procumbens).

In diesem Beispiel werden Wald-Sauerklee (Oxalis acetosella), Haselwurz (Asarum canadense) und Tellerkraut (Claytonia spp.) zugelassen oder angesiedelt, ebenso möglich wären Efeu (Hedera helix), Wald-Erdbeeren (Fragaria vesca) und Duftveilchen (Viola odorata).

Kletterpflanzen

Eine sehr schattentolerante Kletterpflanze mit Fruchtertrag ist die Akebie (Akebia spp.), ebenso wie das Spaltkörbchen (Schisandra chinensis, zweihäusig). Eine mögliche kletternde Staude ist der Kaukasische Rankspinat (Hablitzia tamnoides). Die Kletterer werden über ein Rankgestänge (etwa aus Hasel oder Bambus) über den Weg und den Ruheplatz geführt.

In dieser Polykultur könnten sicherlich auch essbare Pilze unterkommen, sei es in der Wurzelebene als Folge einer Impfung mit Mykorrhiza, in der Baumebene durch Impfen eines „Opferbaums“ mit Pilzbrut (z.B. Shiitake), oder indem dort geimpftes Stammholz im Schatten gelagert wird.

Sukzession und Pflege

Erstpflanzung

Die Erstpflanzung sollte aus den zentralen Bäumen und den größeren Sträuchern bestehen. Die Bäume sind eher langsam wachsend, daher wird für die ersten Jahre reichlich sonnige Fläche zur Zwischennutzung vorhanden sein, etwa zum Anbau einjährigen Gemüses oder zur Bodenverbesserung durch Gründüngungen. Sicherlich kann für die ersten Jahre mit einem Gemüseertrag aus den unteren Ebenen gerechnet werden, die Gehölze kommen dann erst ab dem 3. bis 6. Jahr langsam in Ertrag.

Vielen der Stauden und Bodendeckern wird es deshalb für die ersten Jahre zu sonnig sein, sie können erst erfolgreich eingeführt werden wenn ausreichend Schatten unter den Gehölzen vorhanden ist. Bis dahin können die vorgesehenen Flächen für einjähriges Gemüse oder als Beete zur Vermehrung zwischengenutzt werden.

Anfänglich sollten die Gehölze großzügige Mulchscheiben von 1 bis 2 Metern Durchmesser erhalten. Bei Bestand an Gräsern und ähnlich konkurrenzstarken Pflanzen bietet sich ein Flächenmulch an. Eine solche Abdeckung verweigert der Konkurrenz das Licht gänzlich und kann aus mehreren Lagen verschiedener Materialien bestehen. Häufig macht es Sinn, die vollständige Bepflanzung von Jahr zu Jahr schrittweise zu planen, also den Flächenmulch weiter auf die nächste Teilfläche zu verlegen während die frei gewordene Fläche bepflanzt wird. In diesen Fällen bietet sich eine Kunststofffolie an, die im Handel als Gartenbaugewebe geführt wird.

Etablierung im Zeitverlauf

Zu beobachten wäre, ob die schneller wachsenden Sträucher nicht zu sehr mit den eher langsam wachsenden Bäumen konkurrieren. Falls ja muss entsprechend mit Schnitt eingegriffen werden. Vorbeugend hilft es sicherlich, sich für die Gestaltung mit ausreichend Daten über Ausdehnung und Positionierung zu versorgen.

Allgemein sollte auf schnelle Humusbildung und eine möglichst schnelle Entwicklung hin zu einem von Pilzen dominierten Waldboden geachtet werden, diese kann durch Impfung mit Mykorrhiza gefördert werden.

Die meisten Gehölze lassen sich dem Wildobst zuzurechnen, sie erfordern deutlich weniger Pflege als veredelte Bäume oder sind besonders robust und schnitttolerant (Hasel, Weißdorn, Rosen, Ölweiden). Darüber hinaus sind sie natürlich auch gut für Hecken und Windschutz geeignet.

Um einen “Kopf-Salat-Baum” zu bekommen kappt man je nach Wuchsstärke nach 3 bis 5 Jahren erstmalig, um dann in Abständen von wenigen Jahren immer wieder drastisch zurückschneiden. Durch jährlichen leichten Rückschnitt wird die Bildung jungen Laubs angeregt. Bei solch einer intensiven Ertragsnutzung sollte der Baum wie ein Starkzehrer behandelt und ausreichend mit Nährstoffen versorgt werden.

Sobald die Gehölze nach einigen Jahren beginnen Schatten zu werfen funktioniert die Wasserspeicherung recht gut. Bis dahin ist es besonders wichtig, dies durch konsequentes und regelmäßiges Aufstocken der Mulchschicht sicherzustellen.

 


Dieses Design habe ich als illustrierendes Beispiel für den Gestaltungsprozess einer Polykultur gemacht. Als solches ist es eine „Trockenübung“, die fürs Erste keinen konkreten Bezug zur Realität hat. Sie ist vielmehr als Sammlung von potentiell gut geeigneten Arten zu verstehen, deren hier gezeigte Anordnung völlig unerprobt ist. Umso mehr wäre ich jedoch gespannt zu hören, welche Erfahrungen Leute machen die dieses Rezept (oder eine Abwandlung davon) versuchen umsetzen. Darüber hinaus freue ich mich grundsätzlich über Feedback.

post@permagruen.de

2022 | Jörn Müller | permagrün | www.permagruen.de

 

Von Jörn Müller

Jörn Müller ist durch seinen Drang zur Nachhaltigkeit über die Jahre vom Kulturwissenschaftler über den Baumpfleger und den Gartenbauer zur Permakultur gekommen. Heute wendet er als Waldgärtner deren Prinzipien auf das Design, die Planung und Umsetzung von Ökosystemen für den menschlichen – und vor allem enkeltauglichen - Nutzen an. Besonders prägend war für ihn der Forest Garden Design Course bei Martin Crawford im südenglischen Dartington, einem der ältesten Waldgartensysteme im gemäßigten Klima. Zuletzt übersetzte er dessen Waldgarten-Handbuch Creating A Forest Garden (erscheint im Juni 2021 bei OLV). Er experimentiert seit 2017 im Grünheck, einer Fläche im nordbadischen Dossenheim mit Waldgartenprinzipien und Pflanzengemeinschaften, Techniken für geschlossene Ressourcenkreisläufe wie Kompostierung, Mulchwirtschaft und Pflanzenkohle, und vermehrt für Waldgärten besonders geeignete Nutzpflanzen.

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